Wigeti privat, Zugeschnappt
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Entschuldigung, mein Tier ist alt

Manchmal ist es Zeit, ein Tier gehen zu lassen. „Über die Regenbrücke“, so der Ausdruck, der sich unter Menschen mit Tiere verbreitet hat. Wann dieser Zeitpunkt gekommen ist, lässt sich – leider? – nicht mathematisch berechnen und es gibt auch keine strenge Punkteliste , an der wir uns orientieren könnten. So lastet auf den Schultern von Tierhaltern mit einem Tier, das in die Jahre gekommen ist, eine hohe Verantwortung. Eine Verantwortung, die im ersten Moment belastend ist, mit der wir aber lernen umzugehen. Häufig deutlich belastender als diese Verantwortung sind jedoch die vielen kleinen Seitenhiebe von Außenstehenden. In besorgtem Ton geäußert und mit gerunzelter Stirn erinnern sie uns immer wieder daran, dass es „manchmal Zeit ist, loszulassen.“ Dass sich ein Tier „doch nur quält“, dass „dies doch kein Leben mehr ist“ und ähnliches. Diese Sätze kommen besonders von den Menschen besonders schnell, die nie mit Tieren aufgewachsen sind, keine eigenen Haustiere haben und das tierische Familienmitglied, um das es geht, maximal zweimal im Jahr sehen.

Ich habe sie erlebt, die ganzen Ermunterungen, die fast mahnenden Worte. Ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, sich immer wieder und wieder dafür rechtfertigen zu müssen, dass man das Tier nicht einfach ins Auto verfrachtet, zum nächstbesten Tierarzt fährt und es einfach „erlöst“. Und mehr als einmal wollte ich nur noch sarkastisch erwidern: „Entschuldigung, mein Tier ist alt!“

Einschläfern ist eine letzte Lösung, kein Patentrezept

Inspiriert zu diesem Artikel wurde ich durch die WUFF, Ausgabe 11/2015 („Wenn Hunde in die Jahre kommen“), in der sich die Autorin Sylke Schulte dem Thema Alter beim Hund widmet und von ähnlichen Erfahrungen berichtet, wie ich sie gemacht habe. Bei mir war es mein Kaninchen, das einen Teil meiner Familie immer wieder dazu verleitete, mir nur mäßig gut verpackt und mit besagter, besorgt gerunzelter Stirn eine Einschläferung nahelegte.

Kimmi, eine Widderkaninchen-Dame die leider nie gelesen hatte, dass Kaninchen Artgenossen lieben, war etwa vier, als sie aufhörte, ihren Blinddarmkot aufzunehmen und daher ständig einen verschmierten, dreckigen Po hatte. Eine Situation, die für niemanden angenehm war – weder für die Menschen, die sie pflegten, noch für das Tier, das doch ein so großes Sauberkeitsbedürfnis hatte. Die ständigen Besuche bei unserer damaligen Stammtierärztin brachten wenig, da diese nur die Symptome behandelte, nie aber nach der Ursache suchte – aber das ist ein Thema für einen anderen Artikel. Nachdem uns die Tierärztin eine Einschläferung nahelegte, packten wir unsere Kimmi ein und fuhren an die Ostsee. Zum Landtierarzt, dem wir vertrauten und der schließlich feststellte: Kimmi hatte eine beginnende Arthrose im Rücken. Aufgrund dieser konnte sie sich nicht mehr ausreichend rund machen und hatte somit Schwierigkeiten, ihren Blinddarmkot aufzunehmen.

Ein paar Schmerzspritzen später, war meine mit vier Jahren noch einigermaßen junge Kimmi wie ausgewechselt, spielte und tollte herum und hatte seltener Schwierigkeiten mit dem Rücken. Aber natürlich lässt sich keine Arthrose wegbehandeln. Der entzündliche Prozess, der bei Kimmi in der Wirbelsäule stattfand, war schleichend und kehrte Schubweise zurück. Und schließlich, Kimmi war inzwischen acht, hinterließ sie auch bleibende Spuren. Die Hinterläufe meines Kaninchens waren nun teilweise gelähmt. Wir merkten aber zeitgleich, dass sie weniger Schmerztage hatte und so mit Freude durch die Wohnung düste – auch mit Hinterbeinen, die nicht mehr erfolgreich ihren Dienst taten.

Lebensqualität ist nicht mit den Augen messbar

Manche Menschen, gefühlt vor allem die, die kein besonderes Verhältnis zu Tieren haben, neigen dazu, alles was „abnormal“ ist, als Indikator für fehlende Lebensqualität zu sehen. Kaum begann Kimmi also, ihre Hinterläufe hinter sich herzuziehen, waren sie da: die gerunzelten Stirnen und guten Ratschläge. Dass das gleiche Kaninchen noch immer mit Begeisterung beim Clickern mitmachte, mit ihrem Snackball spielte und fraß wie ein Scheunendrescher, wurde einfach übersehen. Ein Phänomen, das offensichtlich nicht nur Teile meiner Familie befällt, sondern sehr menschlich ist. Wir neigen dazu, unsere eigenen Maßstäbe anzusetzen, wenn es darum geht, die Lebensqualität anderer zu bewerten. Das beschränkt sich nicht nur auf Tiere. Wer von uns hat nicht schon einmal auf die eigenen Eltern oder Großeltern geschaut und wollte „so ein Leben“ nicht führen?

Was wir dabei übersehen ist, dass Lebensqualität ein individuell empfundenes Gut ist, das nicht alleine durch bloßes Ansehen eines Tieres – oder Menschens – definierbar ist. Es gibt sie, die Hunde, die nicht damit klar kommen, wenn sie auf einen Rollwagen angewiesen sind. Sie sind aber kein Beweis dafür, dass der Kollege, der mit einem ähnlichen Wagen munter über die Wiese tollt oder die Katze, die aufgrund einer Querschnittslähmung eine Windel tragen muss, keine Lebensqualität hat.

Alter ist keine Krankheit

Es ist typisch für unsere Zeit, dass wir jedes Auftreten von Alterserscheinungen pathologisieren, also als  schädlich und krankhaft einstufen. Da wird beim Menschen mit zweifelhaften Cremes gegen Falten gearbeitet, Jugendlichkeit zelebriert und alternde Promis nur aufgrund ihrer Reife für skandalös anmutende Überschriften herangezogen. Wir ertragen es einfach nicht mehr, jemanden altern zu sehen – und deswegen versetzt uns auch das erste altersgraue Haar unserer Katze in Panik und kaum ist die erste Linse trüb, denken wir an einschläfern. Doch Altern ist und bleibt ein natürlicher Prozess für den alle Lebewesen vorbestimmt sind. Altern ist keine Krankheit und muss absolut nicht Hand in Hand gehen mit dem Verlust von Lebensqualität.

Natürlich gibt es altersbedingte Krankheiten, wie eben beispielsweise Arthrose, die aus dem Älterwerden nicht immer einen Spaziergang machen. Doch nur weil Hund, Katze oder Kaninchen am Morgen vielleicht länger brauchen, um auf die Beine zu kommen, ist damit noch nicht das ganze Leben eine Qual.

Ich würde mir wünschen, dass nicht nur wir als Tierhalter, sondern auch Außenstehende ohne Tier in Zukunft weniger  vorurteilsbehaftet auf den tierischen Altersprozess reagieren. Das Leben ist im Fluss und besteht aus Veränderungen. Wenn unsere Tiere das akzeptieren können und sich auf veränderte Situationen einstellen, warum dann nicht auch wir?

Übrigens: Kimmi ist trotz Arthrose neuneinhalb Jahre geworden. Sechs Monate vor ihrem Tod zog Ragdoll Sookie ein, acht Wochen später Jaro. Und mein Kaninchen spielte begeistert mit den beiden Katzen jagen (die Katzen liefen vor ihr weg). Das ging auch mit gelähmten Beinen super. Schließlich starb sie friedlich und ganz von selbst an Altersschwäche im Beisein von mir und ihren „Geschwistern“.

Kategorie: Wigeti privat, Zugeschnappt

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Als freie Online-Redakteurin lebe und arbeite ich in Hamburg. Tiere waren schon immer meine Leidenschaft und mit Wissgetierig habe ich mir einen Traum erfüllt: Ein eigenes Blogazin rund um das Thema Tiere, mit Artikeln die Mehrwert bieten.

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